Pestsegen

Bis vor Kurzem hatte Europa die Angst vor lebensbedrohenden Seuchen verlernt

Als man von Bakterien und Viren als Krankheitserreger noch lange nichts wusste, bildeten Epidemien eine ständig wiederkehrende Gefahr. Man glaubte, dass übernatürliche Kräfte im Spiel waren und Gott selbst Krankheit zuließ, um die Menschen zu disziplinieren.


„Tödlein“ fordern dazu auf, des Todes zu gedenken

Wie vergänglich irdisches Leben ist, fand in vielen Vanitas-Darstellungen ihren Niederschlag. Zwei sogenannte „Tödlein“ aus Holz (vor 1700) auf einer Vitrine der Kunst- und Wunderkammer fordern uns drastisch auf, des Todes zu gedenken „Memento mori“. Das eine Gerippe zeigt noch Reste fleischlicher Substanz, das zweite in einen Umhang gehüllte Tödlein hält Stundenglas und Pfeile in Händen. Das Stundenglas steht für die ablaufende Lebenszeit, die Pfeile galten seit der Antike als Symbol für eine plötzlich auftretende Krankheit. Nicht von ungefähr war der hl. Sebastian, der durch Pfeile sein Martyrium erlitt, neben dem hl. Rochus wichtigster Schutzpatron gegen die wiederholt grassierende Pest. Kleine Sebastianspfeile wurden als Pestamulette verwendet und vielfach Rosenkränzen und Fraisenketten eingefügt.

Mittel zur Abwehr der Pest und anderer Krankheiten

In der Kunst- und Wunderkammer finden sich allerlei Mittel zur Abwehr der Pest und anderer Krankheiten. Worauf man in vergangenen Zeiten vertraute, erscheint uns heute abwegig und kurios, doch wurden manche dieser Mittel seinerzeit von renommierten Ärzten befürwortet.

Zwischen den Rosenkränzen hängt eine Kette aus großen Bernsteinkugeln mit einem „Bisamapfel“ (Anfang 16. Jahrhundert) – einer durchbrochenen Silberkapsel zur Aufnahme einer wohlriechenden Paste z. B. aus Ambra oder Moschus. Der Duft sollte „vergiftete“ Luft neutralisieren und die Ansteckungsgefahr verringern.

Eine ganze Vitrine ist mit Schnitzereien aus Steinbockhorn gefüllt, es ist Salzburgs größte öffentliche Sammlung dieser spezifisch heimischen Kunstgattung. Abgesehen von künstlerischer Verarbeitung war das kostbare Steinbockhorn insbesondere für Heilzwecke begehrt. Zudem wurde nicht nur das Horn, sondern das ganze Tier hochgeschätzt und als „wandelnde Apotheke“ betrachtet. Seit Fürsterzbischof Guidobald Graf Thun (1654–1668) mussten alle erlegten Steinböcke und Hörner verendeter Tiere zur medizinischen Verwertung in der Steinwildabteilung der Hofapotheke am Alten Markt abgeliefert werden. Geschabtes Horn etwa wirkte entgiftend, wundheilend, half bei Koliken, Schwindel und Frauenleiden und wurde verschiedenen Arzneimitteln beigemengt. Entgiftend wirkte allein schon das Gefäß, der Löffel, der Becher aus Steinbockhorn. Sogenannte „Rochusbecher“ aus der Hofapotheke verstärkten die Wirkung des Heiltranks gegen die Pest, der darin verabreicht wurde.

„Pestsegen“ waren aus dem Querschnitt des Steinbockhorns geschnitzte Medaillons, deren kleine Ausnehmungen an den Rändern mit Heiligenreliquien gefüllt waren. Solche Amulette boten also zweifachen Schutz durch die apotropäische Kraft des Materials und den Beistand der Heiligen.  Amulettcharakter haben daher auch Rosenkränze und Kreuze, wenn sie aus Steinbockhorn gearbeitet sind. Sie zeigen ebenfalls unter Glas oder Bergkristall eingeschlossene Reliquien.  

 

Laut Zedlerschem Universallexikon (Bd. 39, 1744) bewahrt Steinbockhorn auch vor „Hexereyen“. Hexen und Zauberer waren schließlich reale Wesen und wurden oftmals für Krankheit und andere Schicksalsschläge verantwortlich gemacht. Magische Mittel, um solche Gefahren zu bannen, standen daher hoch im Kurs. 

Text: Dr. Reinhard Gratz

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