Hätte Leonardo da Vinci…

… zur Zeit Colloredos gelebt, er hätte diesen persönlich kennenlernen wollen und wäre an seine Hof gekommen – dessen ist sich jedenfalls Francesco Fontani (1748–1818), florentiner Gelehrter und Bibliothekar der Familie Riccardi, sicher.

 

Zum Weltkunsttag in Österreich am 15. April.


Trattato della pittura di Lionardo da Vinci. Ridotto alla sua vera lezione sopra una copia a penna di mano di Stefano della Bella, Florenz 1792 © Universitätsbibliothek Salzburg

 

1792 erschien in Florenz Leonardo da Vincis „Trattato della pittura“, in der Bearbeitung Stefano della Bellas, herausgegeben von Gioacchino Pagani und Jacopo Grazioli. Widmungsträger war der Salzburger Fürsterzbischof.

Francesco Fontani in seiner Widmung an Hieronymus Colloredo: „Alle Thaten ihrer gloriosen Vorfahren werden überstrahlt von den Ihren, und ich müsste eine sehr lange Argumentation durchführen, wenn ich versuchen wollte, all ihre unzähligen Taten, die Sie für gute Studien gesetzt haben, aufzulisten und diese einzeln beschreiben wollte. Erwähnen muss ich jedoch … die bedeutende, einzigartige Bildersammlung aller Zeiten und aller Schulen, unzweifelhaft ein Zeichen des raffinierten Geschmackes, der Ihren großen Geist schmückt beim Bewundern aller Effekte, des Wahren und Schönen innerhalb der Kirche und des Erzstifts.“

Francesco Fontani zufolge nannte Colloredo selbst Werke von Da Vinci sein Eigen. In den offiziellen Inventaren der Residenz findet sich zwar keine Da-Vinci-Spur, es könnte allerdings sein, dass Coloredo eine private Gemäldesammlung besaß, die er bei seiner Flucht nach Wien mitnahm.

Die vierbändige Prachtausgabe, ein signifikantes Werk mit Antikenbezug, zeigt jedenfalls, dass Colloredos Kunstgeschmack an Rom und der Antike geschult gewesen sein dürfte.


Colloredo kannte die aktuellen Kunstströmungen, teilte die zeitgenössische Begeisterung für Raffael und Corregio, war am klassischen Bildungsideal orientiert. Der neue Stil, der Klassizismus mit seiner Rückbesinnung auf die griechische und römische Antike stand im Einklang mit seinem Naturell und seiner politischen Idee.

Klare Linien, einfache Formen, strukturierte Gliederung, strenge Geometrie, rationale Kühle – eine Kunst wie für Colloredo gemacht!


Ein Zeichen des raffinierten Geschmackes, der Ihren großen Geist schmückt

Colloredo stammte aus einer kunstsinnigen Familie, der Hang zu den Schönen Künsten war ihm quasi in die Wiege gelegt.

Im seinem engsten Umfeld finden sich bedeutende Sammler wie sein Großvater Hieronymus, sein Bruder Franz de Paula Gundaker und sein Neffe Johann Rudolph Graf Czernin von Chudenitz.

Prägend für sein Kunstverständnis dürften auch seine Rom-Aufenthalte gewesen sein.

Seit Wolf Dietrich von Raitenau (reg. 1587-1612) waren alle Fürsterzbischöfe zu Studienzwecken in Rom.

Colloredo absolvierte sein Studium des geistlichen und weltlichen Rechts an der päpstlichen Universität La Sapienza, die Promotion fand am 28. April 1755 statt.

Von Dezember 1759 bis Februar 1762 wirkte er in Rom als Auditor für die deutsche Nation am Gericht der Sacra Rota Romana – eine höchst prestigeträchtige Position – und war Rektor der deutschen Nationalkirche Santa Maria dell’Anoma.


Römische Inspiration

Johann Joachim Winckelmann (1717–1768), ca. 1777, postumes Porträt von Anton Raphael Mengs © The Met Collection New York

Anton Raphael Mengs (1728–1779), Selbstporträt, 1776 © The Met Collection New York

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Colloredos Leben in Rom war schillernd. Sein  Netzwerk ermöglichte ihm den direkten Kontakt mit dem Papst und der Kurie, er verkehrte in der adeligen Gesellschaft und in Künstlerkreisen, kannte die römische Kunstszene.

Zwei der einflußreichsten Persönlichkeiten, die damals auch in Rom waren, dürfte Colloredo persönlich gekannt haben: Anton Raphael Mengs, der als Erfinder der klassizistischen Malerei gilt, und dessen Freund Johann Joachim Winckelmann, den berühmten „Wiederentdecker“ der Antike und geistigen Begründer des Klassizismus.

Colloredo besaß von Winckelmann u.a. dessen „Monumenti antichi inediti“ sowie ein Exemplar seiner „Anmerkungen über die Baukunst der Alten“.

Bei Anton Raphael Mengs bestellte Colloredo später ein Hochaltarbild für den Salzburger Dom. Das Kunstprojekt wurde jedoch nicht umgesetzt, da Mengs zuvor verstarb.

In Florenz besuchte der 23jährige Colloredo Phillip von Stosch (1691-1757). Der deutsche Antiquar und Gelehrte war einer der bedeutendsten Antikensammler des 18. Jahrhunderts, seine Gips-Abguss-Sammlung ist eine der größten ihrer Art.


Die italienischen Begegnungen und Anregungen vertieften Colloredos Begeisterung für klassizistische Kunst und Altertumswissenschaften. Das zeigt nicht nur ein Blick in seine kostbare Bibliothek mit prachtvollen und bedeutenden Werkausgaben, die sich mit Rom und der Antike befassen, sondern auch die Idee einer Malerakademie, die er als Fürsterzbischof in Salzburg verwirklichte.


Ein landesväterlich-gnädigster Entschluss

„Im teutschen Schulhause am Ritzerbogen dahier in einem eigens dazu vorbehaltenen Zimmer für die hiesige Stadtjugend ohne Ausnahm eine öffentliche Zeichenschule anzulegen, wo der Unterricht im Zeichnen mit Zirkel und Lineal sowohl, als von freier Hand in der Woche zweimal an Werktagen und zum Besten der bei Künstlern und Professionalisten wirklich angestellten Lehrjungen einmal am Sonntage Nachmittag jedes Mal zwei Stundenlang unentgeltlich gegeben.“

Mit diesem Inserat in der Salzburger Zeitung vom 12. November 1784 ließ der Fürsterzbischof die Gründung der Malerakademie verlautbaren. Wohltätig und gemeinnützig sollte die Institution im Stadtzentrum, in einem Haus über dem Ritzerbogen (heute Buchhandlung Höllrigl) sein. Das Ziel: die Förderung der zeichnerischen Geschicklichkeit und die Verfeinerung der Erziehung.

Wohltätig und gemeinnützig sollte die Institution im Stadtzentrum, in einem Haus über dem Ritzerbogen (heute Buchhandlung Höllrigl) sein. Das Ziel wurzelte in den Ideen der Aufklärung und des Frühklassizismus: die Förderung der zeichnerischen Geschicklichkeit, die Verfeinerung der Erziehung, eine künstlerische Schulung.

Hier trafen sich persönliche Ambition und politischer Wille des Fürsterzbischofs: die Reformierung von Schulwesen und Bildungssystem.

Die sechs großformatigen, ledergebundenen Malerakademie-Alben zierten Colloredos Wappensupralibros (Besitzzeichen) und die Aufschrift „Malerakademie“.


Mit der Gründung der Malerakademie folgte Colloredo einem Trend in europäischen Residenzstädten, Vorbild war für ihn wohl vor allem die Wiener Kunstakademie.


Anschauungsmaterial für die Malerakademie: Herkules Farnese, 17. Jahrhundert © Universitätsbibliothek Salzburg, Sondersammlungen

Göttergleiche Nacktheit

So zeichneten auc die Studierenden in Salzburg unter sachkundiger Anleitung Blumen, Früchte, Tiere, Bäume, Landschaften, nach Vorlageblättern oder Skulpturen.

Als Anschauungs- und Arbeitsmaterial für den praktischen Unterricht ließ Colloredo Klebebände (Alben) mit Handzeichnungen und Druckgraphiken aus dem 16.-18. Jahrhundert zusammenstellen.

Die Blätter enthielten Originale oder Nachzeichnungen. Es gab eine Gruppe venezianischer Entwürfe des 16. Jahrhunderts von Paolo Veronese und Jacopo Palma il Giovane. Ein großer Teil entstand vermutlich im 17. Jahrhundert im Umkreis der Accademia di San Lucca in Rom.

Bei der Menschendarstellungen bevorzugte man die „Nachahmung klassischer Werke in Malerei und Bildhauerei“ (Winckelmann), da echte, lebende Modelle zur Fehlerhaftigkeit neigten, mal zu füllig, mal zu dünn, mal zu rachitisch waren im Gegensatz zu den perfekten athletischen jungen Männer, die den Griechen vorschwebten. Weibliche Modelle wurden übrigens bis weit in das 19. Jahrhundert nicht zugelassen.

Anschauungsmaterial für die Malerakademie: Liegender männlicher Akt, 17. Jahrhundert © Universitätsbibliothek Salzburg, Sondersammlungen

 

 

Anschauungsmaterial für die Malerakademie: Stehender männlicher Akt, 17. Jahrhundert © Universitätsbibliothek Salzburg, Sondersammlungen

 

Anschauungsmaterial für die Malerakademie: Vorhalle des Pantheon, nach Raffael, 1. Hälfte 16. jahrhundert © Universitätsbibliothek Salzburg, Sondersammlungen


…in der Art wie die alten Griechen und Römer malten,
ehe die Oelmalerey erfunden wurde

Andreas Nesselthaler (1748–1821), Selbstporträt, um 1780 © Salzburg Museum

 

 

 

1789 berief Colloredo Andreas Nesselthaler an seinen Hof, fünf Jahre später ernannte er ihn zu seinem Hofmaler und Galerie-Inspektor.

Nesselthaler lebte von 1779 bis 1789 in Italien und hatte in Rom und Neapel Kontakt zu den führenden klassizistischen Malern.

Er war ein Meister der von der Antike inspirierten Technik der Enkaustik und schuf im Auftrag von Colloredo 56 Gemälde dieser Art, für die Farbpigmente und Bienenwachs als Bindemittel verwendet wurden.

 

 

 


Kunstankäufe in großem Stil

Neben diesem Enkaustisches Kabinett hingen in der neuen Galerie, die Colloredo im 3. Obergeschoß des Osttrakts seiner Residenz einrichten ließ, neben ausgewählten Gemälden der Sammlungen seiner Vorgänger zudem Bilder von Albert Christoph Dies, Nicola Bonvicini und Gregorio Fidanza.

Mehr als ein Viertel der insgesamt 279 Werke gab Colloredo also bei zeitgenössischen Künstlern in Auftrag. Seit Franz Anton Fürst Harrach (reg. 1709-1727) hatte kein anderer Fürsterzbischof Gemälde in dieser Größenordnung erworben.

Fazit: von wegen kunstfeindlich!

Andreas Nesselthaler (1748–1821), Prokris und Cephalus, um 1790, eines von ursprünglich 56 Gemälden des enkaustischen Kabinetts; Wachs-Harz-Öl/Leinwand © Residenzgalerie Salzburg

 

 

Sonderausstellung: Colloredo. Reformer in neuem Licht

26. 1.  – 29. 5. 2023 Nordoratorium, Residenzgalerie

Die ausführliche Ausstellung über den letzten geistlichen Landesfürsten widmet sich zahlreichen Aspekten seiner einunddreißigjährigen Regierungszeit und rückt so manches Klischee zurecht.

 

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