„Wenn nun der gemeine Mann in seinen zeitlichen und Nahrungsgeschäften nach vernünftigen Trieben und Beweggründen handeln soll; wie viel mehr muß sein geistiges Geschäft, seine Religion vernünftig seyn, wie viel mehr muß die Erkenntniß als ein wesentlicher Grund davon betrachtet und er angeleitet und gewöhnt werden, zu seinem ganzen religiösen Verhalten vernünftige und lautere Beweggründe aufzusuchen? Denn je reiner, heller, aufgeklärter und lebendiger seine Erkenntniß ist, desto lauterer und fruchtbarer in allem Guten wird auch seine Religion seyn.“ 


Da ist er: Colloredos berühmter Jubiläums-Hirtenbrief vom 29. Juni 1782, zentraler Ausdruck seines Reformprogramms, sein ambitioniertester Schritt in Richtung einer aufgeklärten Religion, der europaweit großes Aussehen erregte und hohe Wellen schlug,

Mit Zirkular vom 30. August 1782 erhielten alle Priester und weltlichen Beamten – als potentielle Verbreiter der Aufklärung – den Hirtenbrief zugesandt, der in entsprechender Auflage gedruckt worden war, auch  in Wien erschien und  Übersetzungen ins Französische und Italienische erlebte .


Pompeo Batoni: Joseph II. und sein Bruder Leopold, Großherzog der Toskana, in Rom, Ölgemälde, 1769 © Kunsthistorisches Museum Wien

 

 

Dabei war er nicht der erste Hirtenbrief, in dem Fürsterzbischof Hieronymus Graf Colloredo ein Umdenken forderte.

Im Hirtenbrief von 1775 geht es um Erstkommunion und Firmung, die nunmehr schriftlich festzuhalten und zu bestätigen sind.

Der zweite von 1776 handelt über den Missbrauch von Weihen und Teufelsaustreibungen, schränkt Flurumgänge gegen Unwetter ein und wendet sich gegen abergläubische Praktiken.

Der dritte Hirtenbrief bespricht den Ablass und verlangt als Voraussetzung dafür tatsächliche Buße und Reue. Der vierte Hirtenbrief verbietet Passionsspiele und „Mummereyen bey Charfreitags- und anderen Prozessionen“.

Im Jubiläumshirtenbrief 1782 fasst Colloredo noch einmal die wichtigsten Anliegen zusammen.

Die Reaktion war enorm, auch über die Grenzen Salzburgs hinaus. Viel Lob kam aus dem Ausland.

Gerade bei aufgeklärten Fürsten und Kirchenoberen, wie Kaiser Joseph II. von Österreich, und dessen Bruder Großherzog  Leopoldo von Toskana fand er großen Anklang.  


Bei der Salzburger Bevölkerung indes stieß das alles auf herbe Ablehnung. Kein Wunder, strich ihnen Colloredo doch liebgewonnene Traditionen und volkstümliche Bräuche!


Colloredo hatte eine andere weltanschauliche Sicht, strebte eine theologische, politische und wirtschaftliche Umorientierung in grundsätzlichen Fragen an.

Die Ent-Barockisierung, würde er in einem ZIB 2-Interview heute wahrscheinlich sagen, sei ein notwendiger Schritt, um Effektivität, Strukturiertheit, Ordnungssinn und Fortschritt in Staat, Gesellschaft, Kirche und Wirtschaft des Landes zu schaffen. Der Fokus ruhe auf einer effektiven, dem Gemeinwohl dienlichen, theologisch begründeten, ökonomisch erfolgreichen und vernünftigen Staatsführung.


Es werde Licht in den Seelen von Bürger und Landmann

Mit dem Hirtenbrief zielte Collordo auf die Abkehr von einer barock-prunkvollen Repräsentations- und Festkultur. Er verabscheute eine veräußerlichte Religiosität und verlangte nach einer Erneuerung im Glauben.

Schlicht und einfach sollte der Gottesdienst sein, auf das Wesentliche konzentriert. Der „denkende, aufgeklärte Christ“ sollte zu einer „geläuterten Religion“ finden, die die Sitten des einfachen Volkes verbessern und es zu „nützlichen Staatsdienern“ erziehen würde.

Alles sollte entfernt werden, „was die Stille der Seele stöhren, die Gedanken zerstreuen, und die hochachtungsvolle Aufmerksamkeit auf göttliche Wahrheiten schwächen kann.“ Zentral sei die religiöse Innerlichkeit, die innere Andacht.

Kirchenfahnen und Glocken, kostbare Altäre, Kirchenornate und Gemälde an Kirchenwänden und Gewölben, Wachskerzen und Lampen, der schauspielerisch-orchestrale Charakter der Kirchenmusik – ein dekoratives Übermaß lenke nur vom Wesentlichen ab, zerstreue die Gedanken statt sie auf die göttlichen Wahrheiten zu richten. Das Geld für einen derartigen Aufwand solle besser den Notleidenden gespendet werden.  

Dr. Franz Lackner, Erzbischof von Salzburg: „Wenn er sich mit seinen Reformen aber gegen die damalige Vielzahl kirchlicher Feiertage und Volksbräuche stellte, so tat er dies keineswegs aus avantgardistischen Motiven – vielmehr ging es ihm darum, den Glauben auf das Wesentliche zurückzuführen.“


Wider dem kirchlichen Prunk

Colloredo: „So viel ist gewiß, geliebte Freunde und Mitarbeiter! daß, wenn über derley gottesdienstlichen Aufwande wesentlichere Pflichten des Christenthums zurückgesetzt, oder verabsäumet werden, die Oberhirten der Kirche (…) das Übermäßige abstellen, und das Wesentliche des Gottesdienstes wieder in vollen Gang zu bringen trachten müssen.“ 

Im Kern der christlichen Lehre werde „gottesdienstlicher Aufwand mit Zurücksetzung der Nächstenliebe (…) als Heucheley und Verkürtzung des Wortes Gottes geschildert.“

Das durch die Entfernung von „Flitterstaat“ eingesparte Geld sollte für die Einrichtung von Armenkassen in jeder Gemeinde verwendet werden. 


Der Gottesdienst, den wir als vernünftige Menschen
dem Allweisesten und Allgütigsten schuldig sind

Ein Dorn im Auge war Colloredo auch die übermäßige Heiligenverehrung. Gottesmutter und Heilige sollten nicht über Gebühr verehrt werden, man müsse sich im Klaren sein, dass sie gegenüber dem allmächtigen Gott nur Geschöpfe und unendlich niedrigere Wesen seien.

Ein Heiliger nach dem anderen werde bis an die Gottheit hinaufgehoben, dass der irre gemachte Zuhörer nicht weiß, wem er größere Ehre und Zutrauen erweisen solle.

In gewisser Weise eingeschränkt wurde die Heiligenverehrung auch durch die Feiertagsreduktion, indem bisherige Heiligenfeiertage zu Werktagen herabgestuft wurden.

Bereits im September 1772 wurden 20 der insgesamt 95 gebotenen Sonn- und Feiertage abgeschafft, durchaus auch aus ökonomischen Motiven. Dass diese Maßnahme besonders unpopulär war, muss wohl nicht extra betont werden!



Pudl, wo laufst um?

Colloredo empfiehlt des weiteren – auch den einfachen Gläubigen – „fleißiges Bibellesen“. Er war fest überzeugt, „daß, wenn einmal das Bibellesen allgemeiner wird, der gemeine Mann auch bald heller denken, und aufgeklärter werden, an Vorurtheilen und Aberglauben nicht mehr so sehr kleben, zum solidem christlichen Unterricht gelehriger und empfänglicher, zur Ausübung christlicher und bürgerlicher Tugenden geneigter seyn [wird]

Die Bibellektüre stand bislang nur bei den Protestanten im Vordergrund, die in Salzburg jahrhundertelang verfolgt wurden. Kein Wunder, dass Colloredo verdächtigt wurde, vom rechten katholischen Glauben abgefallen und ein „Lutheraner“ zu sein. Angeblich ließ man in der Stadt einen Pudel mit umgehängtem Schild und folgender Inschrift herumlaufen: „Pudl, wo laufst um? Z‘ Salzburg im Luthertum!“.


Teuflisches Zeug

Eine Zeichnung wurde angeschlagen, darstellend einen Teufel vor dem Schilderhaus; ihm nähert sich ein anderer Teufel, in einer Kraxe Exemplare des Hirtenbriefes tragend. Dialog: Wache: Wer da? Bote: Gut Freund! Was trägst? Alle Exemplare des auf das Land gesandten, aber von allen verfluchten salzb. Hirtenbriefs. Wohin trägst du sie? In die Höll. Passiert!

Aus der Salzburger Chronik des Felix Adauktus Haslberger (1731-1809), vehementer Gegner der Aufklärung und des Fürsterbischofs.


 „Wir verordnen demnach, daß diese Liedersammlung fleißig
und nirgends eine andere Musik, oder Gesang mehr gebrauchet werden soll“

„Nebst der Bibel sind gute Kirchenlieder in der Muttersprache eines der fürttrefflichsten Mittel den öffentlichen Gottesdienst erbaulich und zur Erweckung religiöser Gefühle beförderlich zu machen.“

Neben Einfachheit, Klarheit und Verständlichkeit fördere laut Colloredo auch die deutschsprachige Liturgie und der volkssprachliche Gesang die innere Beteiligung der Gläubigen. Er habe bemerkt, „welch unverständliches Zeug, welchen Unsinn der gemeine Mann bey seinen öffentlichen und Privatandachten daher sagte oder sang.“ 

Im Dom und in Stifts- und Klosterkirchen mit einem gutbesetzten Chor waren ausnahmsweise weiterhin lateinische Orchestermessen erlaubt, auch wenn dabei die Gefahr der Ablenkung durch ein allzu sinnliches Erlebnis bestand.

Was bisher in den „gemeinen Stadt- und Landkirchen“ zu hören war, sei oft „elendeste Geigelei, die dem gemeinen Volke jeden guten Gedanken aus dem Herzen hinausjagt und durch ganz gräuliches Geplerre nur dumme Sinn- und Gedankenlosigkeit“ hervorrufe, befand der Kirchenfürst und schrieb das in Salzburg nachgedruckte Landshuter Gesangbuch vor.

Die Einführung des deutschen Kirchen- und Volksgesangs war jedoch ein mühsames Unterfangen und stieß auf  hartnäckigen Widerstand, vor allem in den ländlichen Gebieten.

Die wenigsten Gläubigen konnten Noten lesen und die bisherigen „Kirchensinger“ zeigten wenig Begeisterung, die neuen Lieder einzustudieren.

 Die Gemeinde sollte selbst mitsingen und mitfeiern, was sie nicht gewohnt war, die Begründungen und Argumente dagegen waren von großem Phantasiereichtum geprägt: „Die grobe Kost gibt die erforderliche Stimme nicht, die scharfe Luft verderbt das hiezu nötige Gehör“.


Gedruckt in Frankfurt und Leipzig? Schnell war klar: Das Pamphlet stammte aus der Stadt Salzburg!

 

 

Der erzieherischer Ansatz des Hirtenbriefs und die rigorosen Neuerungen erzeugten ordentlichen Gegenwind.

Nicht nur die konservative Landbevölkerung begehrte auf. Auch in Rom empfand so mancher den Hirtenbrief als Anmaßung, mit dem lediglich die Kirchen ausgeräumt, nicht jedoch der säkulare Prunk des Landesherrn beschnitten werden sollte.

Colloredo ließ sich weder von Kritik aus Rom noch von gehässigen Reaktionen in Gegenschriften beeindrucken. Ganz im Gegenteil!

Der Salzburger Franziskaner P. Clarentius Pschaider verfasste 1773 eine Schmähschrift gegen die Abschaffung der Feiertage mit frontalen Angriffen gegen den Fürsterzbischof (unverständiger Schnarcher).

Hier zeigte sich, dass Colloredo auch vor drakonischen nicht Strafen zurückschreckte: Pschaider wurde rasch identifiziert, gefangen genommen und zu acht Jahren Haft verurteilt. Der Buchhalter der Mayrischen Druckerei, Franz Ferstl, und der Guardian des Franziskanerklosters, P. Richard Böck, wurden des Landes verwiesen. Die Besitzerin der Mayrischen Druckerei, die Witwe Anna Viktoria Konhauser von Sternenfeld, wurde zu einer hohen Geldstrafe verdonnert und gezwungen, ihren Besitz zu günstigen Konditionen zu verkaufen.

Die beschlagnahmten Exemplare ließ Colloredo in der Salzach versenken.

 

 

 


Was blieb von diesem als revolutionär im Sinne der Aufklärung gerühmten Hirtenbrief?

Nicht viel!

Letztlich hatten die ambitionierten Ziele Colloredos keinen Bestand. Immer mehr Ausnahmen unterhöhlten das Gedankengebäude, die Reformen, kaum mehr überwacht, verliefen schließlich im Sand.

Der Fehler: überhastetes Vorgehen, Ungeduld, ein aggressiver Habitus, aber auch mangelndes Fingerspitzengefühl gegenüber gewachsenen Traditionen und tiefverwurzelter Volksfrömmigkeit. Vielleicht auch ein falsches Timing, viele Forderungen kamen erst im Anschluss an das Zweite Vatikanum zur tatsächlichen Umsetzung.

Den Rest spülten geschichtliche Ereignisse wie die napoleonischen Kriege und die Säkularisation hinweg.

Um mit den Worten des Juristen und Historikers Judas Thaddäus Zauner (1750-1815) zu sprechen: „Man hätte vorerst aufklären, und dann reformiren sollen; allein man machte mit dem letztern den Anfang; indem man Religionsedicte erließ und verschiedene Lieblingsandachten des Volkes abschaffte, noch ehe man es durch gründliche Belehrung zu solchen Reformen vorbereitet hatte.“


 

 

Sonderausstellung: Colloredo. Reformer in neuem Licht

26. 1.  – 29. 5. 2023 Nordoratorium, Residenzgalerie

Die ausführliche Ausstellung über den letzten geistlichen Landesfürsten widmet sich zahlreichen Aspekten seiner einunddreißigjährigen Regierungszeit und rückt so manches Klischee zurecht.

 

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