Colloredo war einer der gebildetsten Fürsterzbischöfe – vielseitig interessiert, sprachgewandt, belesen und ein guter Geiger.

 Trotzdem schneidet er in der Bewertung seines Kunstverständnisses denkbar schlecht ab! Nimmt man die „Mozart-Brille“ ab und durchforstet man die jüngere Forschung, ergibt sich ein differenzierteres Bild: Colloredo stand der Kunst keineswegs feindlich gegenüber!

Er liebte Bälle, Redouten, Theater und Schlittenfahrten, war den schönen Künsten zugetan, organisierte und besuchte oft und gerne kulturelle Events – Serenaden, Konzerte, Opern, Liederabende und exklusive musikalische Abendgesellschaften.


1772 — ein Wendepunkt

Zur Zeit des Amtsantritts des den Ideen der (katholischen) Aufklärung verpflichteten Fürsterzbischofs standen die Zeichen nicht nur in Salzburg auf Veränderung: der Aufbruch in das bürgerliche Zeitalter kündigte sich an, mit einem neuartigen Welt-und Menschenbild, das auch die Kunst veränderte.

Zudem herrschte eine ökonomische Krise: Der ehemalige Reichtum des Erzstiftes war verflossen, Salzburg ein wirtschaftlich angeschlagener Staat, mit hoher Schuldenlast. Collordo musste einen harten Sanierungskurs fahren. Das Land sei so verarmt und heruntergekommen, meinte er schon vor seiner Wahl, dass ein Wiederaufbau mindestens zehn Jahre in Anspruch nehmen würde.

Der strikte Sparkurs führte – wie bekannt klingt das doch in unseren Ohren! – auch zu Einschnitten im kulturellen Sektor. Colloredo legte aber trotzdem großen Wert auf eine organisatorisch und qualitativ gut aufgestellte Hofmusikkapelle, wurde in diesem Sinne auch tätig, führte u.a. eine Besoldungsreform durch und schärfte das Anforderungsprofil (Einführung einer Probezeit).


„Ein Hofkapellmeister im Chorrock“, wahrscheinlich Luigi Gatti (1740-1817), Salzburgs letzter fürsterzbischöflicher Hofkapellmeister (Aquarell-Gouache aus der Sammlung Kuenburg, um 1785, Detail, Privatbesitz),

Kein so glückliches Händchen bewies er in der Auswahl seiner Hofkapellmeister. Es gab ständige Wechsel, lange Vakanzen und einen frustrierten Vizekapellmeister Leopold Mozart, der nicht zum Zug kam und dementsprechend lästerte.

Giuseppe Lolli, 71 Jahre alt und seit 1762 Hofkapellmeister, stellte Colloredo Domenico Fischietti zur Seite, der nach zwei Jahren den Dienst quittierte. Der Nachfolger, Giacomo Rust, verabschiedete sich nach kürzester Zeit wieder, sodass sich der Fürsterzbischof erneut auf Personal-Suche begeben musste.

Leopold Mozart unkte: „Der Erzbischof schreibt ganz Italien aus, und bekommt keinen Capellmeister“. Die Anstellung des 20 Jahre jüngeren Luigi Gatti bedeutete für ihn schließlich das Ende seiner Kapellmeisterträume.


Colloredo und das Theater – das Ende einer Ära

Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts herrschte in Salzburg ein lebendiges Theaterleben, wenn es auch unter Fürsterzbischof Colloredo eine Neuausrichtung erfuhr: die große, traditionsreiche Ära des Hof- und Universitätstheaters neigte sich ihrem Ende zu.

Der Schritt führte vom exklusiven Hoftheater für einige wenige Privilegierte hin zu einem öffentlichen Theater, das allgemein gegen Bezahlung zugänglich war – ein bürgerliches Bildungstheater ganz im Sinne der Aufklärung.

Hoftheater am Hannibalplatz, das erste eigenständige Theatergebäude Salzburgs (Schnitt und Grundriss 2. Stock, Salzburg Museum)


Colloredo setzte – gegen den Widerstand des Bürgermeisters, der die Armenfürsorge für nötiger erachtete – auf Kosten des Magistrats die Umgestaltung des alten Lodronschen Ballhauses am Hannibalplatz (heute Makartplatz) durch. Bürgermeister Ignaz Anton Weiser, der einst den Text zu Mozarts „Die Schuldigkeit des ersten Gebots“ verfasste, trat aus Protest zurück.

Das neue Hoftheater eröffnete 1775. Künstlerische Leitung und Verwaltung legte Colloredo in die Hände einer eigenen Theaterleitung. Das Programm wurde von reisenden Theatertruppen bestritten, die sich für je eine Saison einmieteten. Das garantierte ein florierendes und abwechslungsreiches Theaterleben, für die Hofmusiker reduzierte sich das Betätigungsfeld allerdings dementsprechend.

In der Residenz fanden nur noch zu besonderen Anlässen Aufführungen statt.


Barbara Krafft, Guiseppe Tomaselli (1758-1836), nach 1804 (Salzburg Museum)

 

 

In der Spielzeit 1781/82 fungierte Emanuel Schikaneder, der Librettist von Mozarts „Zauberflöte“ KV 620, als Prinzipal.

Der Italiener Guiseppe Tomaselli, 1781 von Fürsterzbischof Colloredo als Hoftenorist nach Salzburg verpflichtet, leitete das Hoftheater am Hannibalplatz zwei Jahre – von 1796-1798 – gemeinsam mit Lorenz Hübner.

Sein Sohn Carl übernahm das Kaffeehaus Staiger am Alten Markt, das schon Mozart besuchte und heute als Café Tomaselli Kultstatus besitzt.

Man spielte während Colloredos Regentschaft übrigens auch Mozart-Werke im Hoftheater am Hannibalplatz: 1784/85 „Die Entführung aus dem Serail“ KV 384 und „Don Giovanni“ KV 527, „Die Zauberflöte“ 1796/97.

Im Publikum der ersten Salzburger Aufführung der „Entführung aus dem Serail“ im November 1784: Fürsterzbischof Colloredo!

 

 

 

 

 


Erzherzog Maximilian Franz (Detail, Sammlung Schloss Versailles)

 

Il re pastore KV 208, eine Festmusik in zwei Akten, feierte am 23. April 1775 Premiere, also gut ein halbes Jahr vor der Eröffnung des neuen Hoftheatergebäudes.

W. A. Mozart komponierte die Serenata, die im Rittersaal der Residenz über die Bühne ging, auf Geheiß des Fürsterzbischofs für den Besuch von Erzherzog Maximilian Franz (1756-1801), den jüngsten Sohn der Kaiserin Maria Theresia, Bruder von Kaiser Joseph II., Kaiser Leopold II. sowie Marie-Antoinette.

Der Erzherzog war gleich alt wie W. A. Mozart.

Einen Tag vor Mozarts Il re pastore wurde, ebenfalls im Rittersaal, eine Serenata von Hofkapellmeister Domenico Fischietti (um 1725-1810) aufgeführt: Gli orti esperidi.


Colloredo und die Violine

Der Fürsterzbischof und sein Hofstaat trafen sich regelmäßig zu Abendunterhaltungen dieser Art, die aus Konversation, Spiel und Musik bestand.

 „Nach 6 Uhr war Gesellschaft, während derselben besprach er [Fürsterzbischof Collordeo] sich häufig mit seinen Staatsdienern über Geschäfte, außerdem unterhielt er sich entweder mit Fremden, oder mit einem Spiele, oder er mischte sich unter seine Hofmusiker und spielte mit ihnen auf der Violine. Nach geendigter Gesellschaft speiste er zu Abend, und dann ergab er sich dem Gebethe, bis er sich nach 10 Uhr zur Ruhe legte.“ (Corbinian Gärtner, Lebensgeschichte Colloredos, 1812).

Leopold Mozart als Geiger, Frontispiz aus seinem Standardwerk „Versuch einer gründlichen Violinschule“, 1756 (Bibliothek der Erzabtei St. Peter)


Die musikalischen Abendgesellschaften fanden beinahe täglich statt und konnten mitunter stundenlang dauern. Waren sie einmal kürzer, freuten sich die Musiker: „Gestern war ich das erste mahl beÿ der grossen Musik beÿ Hofe als Comendant. Itzt hören die Musiken um viertel nach 8 Uhr auf. gestern fings um 7 Uhr an, und als ich herausgiengschlugs ein viertel nach 8 Uhr, also 5 viertelstund. Meistens werden nur 4 Stück gemacht. Eine Sinfonie, eine Arie, eine Sinfonie oder Concert. Dann eine Arie und hiermit addio.“ (Leopold Mozart in einem Brief vom 17. September 1778 an den Sohn in Paris).


Johann Christian Friedrich Schulz (1762-1806), Belletrist und Reiseschriftsteller

Dass sich Colloredo gerne und regelmäßig unter seine Hofmusiker mischte, „accompagnierte“ und auch andere Mitglieder des Hofstaates zum Spiel animierte, bestätigen so manche Zeitgenossen:

 „This prince is himself a dilettante, and good performer on the violin“ (Charles Burney, Tagebuch einer musikalischen Reise, 1773 )

 „Er erheiterte sich [seine Laune] durch die Violine, die er gut spielte, durch einen Spazierritt, denn er war auch ein guter Reiter, oder eine Spazierfahrt auf die Jagd …“  (Friedrich Graf Spaur, Schriftsteller und Domherr)

 „Übrigens giebt der Hof wöchentlich dreymal eine Versammlung zum Spiel oder Konzert, und an Fest=oder andern feyerlichen Tagen große Tafel. Bey den Konzerten spielt der Fürst, als Liebhaber der Musik, die Geige.“ (Johann Christian Friedrich Schulz, Reisebericht, 1795)


Colloredo und die Kirchenmusik
Brevis et solemnis: Feierlich muss nicht lang sein!

Die Neuordnung der Kirchenmusik brachte Colloredo besonders viel Kritik und schlechte Nachrede ein.

Auch hier mischen sich Dichtung und Wahrheit. So findet sich für das „Fugenverbot“, das Colloredo immer wieder unterschoben wird, keinerlei schriftliche Quellen, keine Anordnung, kein Dekret.


Gandolph Ernst Stainhauser von Treuberg (1766–1805), Fürsterzbischof Hieronymus Graf Colloredo, um 1793 (Dommuseum Salzburg)

Die Forderungen Colloredos mit Blick auf die Gestaltung der Meßfeier: Einfachheit, Klarheit und Verständlichkeit, eine beschränkte Dauer der Messe, auch bei Hochfesten, keine ausladenden Arien und verweltlichten instrumentalen Tändeleien, die die Kirchenmusik allzu oft einer Opernaufführung angleichen würde. Und: deutsche Kirchenlieder!

Die Menschen sollten im Gottesdienst nicht einfach „unverständliches Zeug“ nachplappern, sondern verstehen, was sie sagen und singen . Das fördere das religiöse Verständnis des Einzelnen, meinte Colloredo, den aufgeklärten Gedanken von der vernunftgeprägten Einzelperson formulierend.

Die Gläubigen müssten mittels deutschsprachigem Gottesdienst und volkssprachlichem Gesang besser miteinbezogen werden: „Nebst der Bibel sind gute Kirchenlieder in der Muttersprache eines der fürttrefflichsten Mittel den öffentlichen Gottesdienst erbaulich und zur Erweckung religiöser Gefühle beförderlich zu machen.“

Das derart beglückte Volk murrte allerdings unüberhörbar: alles zu arios, zu hoch und zu kunstvoll gesetzt. Der Widerstand, vor allem in den ländlichen Gebieten, erwies sich als hartnäckig. Das selbst mitsingen und mitfeiern war man nicht gewohnt, die Begründungen und Argumente dagegen waren von großem Phantasiereichtum geprägt: „die grobe Kost gibt die erforderliche Stimme nicht, die scharfe Luft verderbt das hiezu nötige Gehör“.


Hier liegt vor deiner Majestät

Colloredo musste teilweise zurückrudern, das Verbot der lateinischen Kirchenmusik wurde gelockert und Michael Haydn beauftragt, das so heftig befehdete Gesangbuch zu überarbeiten. Er fand den richtigen Ton und prägte damit den Stil der Salzburger Kirchenmusik nachhaltig – bis hin zu Franz Xaver Grubers Weihnachtslied Stille Nacht! Heilige Nacht!“, das lange Zeit für ein Werk Haydns galt.

Von Haydns Deutschem Hochamt. Hier liegt vor deiner Majestät MH 560 fertigten Anton Bruckner und Franz Schubert eigenhändige Abschriften an. Als Schubert auf seiner Reise nach Gastein in Salzburg Station machte, besuchte er Michael Haydns Denkmal in der Stiftskirche St. Peter. „Es wehe auf mich, dachte ich mir, dein ruhiger, klarer Geist, du guter Haydn, und wenn ich auch nicht so ruhig und klar sein kann, so verehrt dich doch gewiß Niemand auf Erden so innig als ich. Eine schwere Thräne entfiel meinen Augen, und wir gingen weiter.“


Die zentrale Figur des Kirchenmusik-Reform-Projekts von Fürsterzbischof Colloredo: Michael Haydn (Porträt von Franz Xaver Hornöck (?), Privatbesitz)

Wider die elendeste Geigeley und gräusliches Geplärre

Seinem Reformkonzept folgend, wollte Colloredo keine reine Instrumentalmusik im Gottesdienst. Diesbezüglich sprach er Klartext: …was soll man erst zu der Musik in den gemeinen Stadt- und Landkirchen sagen, wo so oft durch die elendeste Geigeley dem gemeinen Volke jeder gute Gedanke aus dem Herzen hinausgejagt, und durch ein ganz gräuliches Geplärre nur dumme Sinn- und Gedankenlosigkeit unterhalten wird?“

So erhielt Michael Haydn einen weiteren Auftrag, nämlich die bisher üblichen Instrumentalstücke – die Sonaten und Konzertsätze, die gewöhnlich zwischen Lesung und Evangelium gespielt wurden – durch liturgische Zwischengesänge (Gradualien) zu ersetzen.

Auch mit diesen Gradualien setzte Haydn Maßstäbe für die Kirchenmusik.

Seinen Ruf als erstklassiger Kirchenkomponist konnte der jüngere Bruder Joseph Haydns zudem durch seine Colloredo gewidmete Hieronymus-Messe MH 254 für das Allerheiligenhochamt 1777 festigten. Sie ragt durch eine einzigartige instrumentale Besetzung heraus – Solisten und Chor werden von Oboen und Fagotten anstatt der üblichen Streicher begleitet. Der sonst so gestrenge und scharfzüngige Leopold Mozart zeigte sich begeistert, dieses Werk sei wertvolles Lehrstück für seinen Sohn! Laut Vater Mozart gab es eine „Prob“, bei der auch der Fürsterzbischof zugegen war.


Unsere Kirchenmusik ist durchaus verschieden

 „Unsere Kirchenmusik ist durchaus verschieden von der in Italien und weicht immer mehr ab. Eine Messe mit Kyrie, Gloria, Credo, der Sonata zur Epistel, dem Offertorium oder Motetto, dem Sanctus und Agnus Dei, auch die feierlichste, darf – wenn der Erzbischof selbst das Hochamt hält – höchstens drei Viertelstunden dauern. Diese Art von Komposition braucht ein besonderes Studium. Und dabei muss es eine Messe mit allen Instrumenten, Trompeten, Pauken usw. sein“.

Die Konsequenzen von Colloredos kirchenmusikalischen Anordnungen werden gerne anhand dieses Briefes von W. A. Mozart an den italienischen Komponisten und Musiktheoretiker, Padre Giovanni Battista Martini, dokumentiert.

Allerdings gab es diese spezielle Salzburger Tradition der Missae breves et solennes nicht erst seit dem reformfreudigen Fürsterzbischof.

W. A.  Mozart (1756−1791), Missa in C-Dur KV 317 (Krönungsmesse), für Soli (Sopran, Alt, Tenor, Bass), Chor, 2 Violinen, 2 Oboen, 2 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Pauken, Orgel (Faksimileausgabe, 1998)


Schon die Hofkapellmeister Matthias Sigmund Biechteler  und Carl Heinrich von Biber schufen im Laufe der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts eine beträchtliche Anzahl an Messen dieser Art, die Kürze und Feierlichkeit miteinander verbanden.

Sie ertönten, wenn der Fürsterzbischof selbst im Dom zelebrierte (Festis pallii). Dann trat die gesamte Hofkapelle in Aktion, alle in weißen Chorröcken, vom Kapellmeister oder einem der Hofkomponisten geleitet: die Dommusik mit den Domchorvikaren, den Domchoralisten und den Kapellknaben sowie die Hofmusik mit (Solo-)Sängern und Instrumentalisten samt Trompetern und Paukern als sicht- und hörbare Erkennungszeichen der fürstlichen Anwesenheit.

Die bekanntesten Werke dieses Genres: W. A. Mozarts Missa C-Dur KV 220 (Spatzenmesse), die Krönungsmesse KV 317 (Ostersonntag 1779) sowie die Missa solemnis KV 337 (Oster-Hochamt 1780).


Zu Unseren Hof Organisten gnädigst an- und aufgenommen

W. A. Mozart komponierte den Großteil seiner Kirchenmusik für den Dom.

Obwohl diese nur einen kleinen Teil des Dom-Repertoires ausmacht, war er in den 1770er-Jahren Hauptlieferant von Messen, Litaneien, Vespern und kleineren Kirchenwerken für die Salzburger Metropolitankirche.

Sein letztes kirchenmusikalisches Werk sind die Vesperae solennes de confessore KV 339. Der 5. Satz, der Psalm Laudate Dominum – ein Arioso für Solo-Sopran, Chor und Orchester – zählt zum Schönsten mozartscher Vokalkunst.

Die Vesperae stammen aus dem Jahr 1780, dem Vorabend der großen Auseinandersetzung mit dem Fürsterzbischof. Und damit erscheint zwangsläufig wieder die eingangs gestellten Frage: Fußtritt oder nicht Fußtritt?

Näheres dazu in der nächsten Hintergrundgeschichte!


 

 

Sonderausstellung: Colloredo. Reformer in neuem Licht

26. 1.  – 29. 5. 2023 Nordoratorium, Residenzgalerie

Die ausführliche Ausstellung über den letzten geistlichen Landesfürsten widmet sich zahlreichen Aspekten seiner einunddreißigjährigen Regierungszeit und rückt so manches Klischee zurecht.

 

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