Wahlkampf anno 1772

Man vermeint den kaiserlichen Wahlgesandten, Adam Franz Graf Hartig (1724–1783), förmlich seufzen zu hören: So langwierig und vertrackt hatte er sich die Wahl des neuen Fürsterzbischofs von Salzburg wohl nicht vorgestellt.


Rückblick

Am 16. Dezember 1771 starb Fürsterzbischof Sigismund Graf Schrattenbach.

Die Regierungsgeschäfte übernahm das Domkapitel, die neue Würde zeigte sich nicht zuletzt an der Kleidung und dem Auftreten seiner Mitglieder, der Domherren, die mit offener Schleppe einherschritten und von den Untertanen mit einem Kniefall gegrüßt werden mussten. Verließen die mit der weltlichen Leitung beauftragten Kapitulare die Residenz, musste die Wache wie für einen Erzbischof das Gewehr präsentieren und die Trommel rühren.

Der neue Fürsterzbischof wurde ausschließlich aus der Reihe der Domherrn – alle von adeligem Stand – erkoren. Bayern und Österreich mischten dabei traditionellerweise einmal mehr, einmal weniger mit. Dieses Mal eher mehr: München favorisierte den Domdechanten, Ferdinand Christoph Graf Waldburg-Zeil, und Wien den Bischof von Gurk, Hieronymus Graf Colloredo.

Auch Colloredos Vater, Rudolph Joseph Fürst Colloredo-Waldsee, schmiss sich für seinen Sohn in das Wahlgetümmel, immerhin besaß er als Reichsvizekanzler nicht unwesentliche Einflussmöglichkeiten.


Sitzordnung im Audienzzimmer der Residenz am ersten Wahltag von Colloredos

Placement im Audienzzimmer der Residenz zu Salzburg (SLA, Domkapitelprotokolle)

Es geht los …

Als erster Wahltag wurde der 9. März 1772 festgesetzt.

Die Domkapitulare traten im Kapitelhaus (heute Kapitelgasse 4) zusammen.

Bei jedem Wahlgang hatte die gesamte Garde auszurücken – und sie musste oft aufmarschieren, denn es dauerte, bis der „weiße Rauch“ aufstieg.  

Wahlvorbereitungen: Skizze mit dem Sitzplan vom Empfang des Domkapitels für Franz Graf Hartig am 22. Februar 1772.

Der kaiserliche Gesandte saß neben Domdekan und Dompropst unter dem Baldachin.


Hieronymus Colloredo hatte seine Karriere sorgsam geplant und vorangetrieben, als Bischof von Gurk die ihm übertragenen Aufgaben mit Bravour gemeistert. Seine Familie war mächtig und einflussreich und die aktive Unterstützung des kaiserlichen Hofs war ihm sicher.

Die Ausgangslage war für Colloredo also durchaus vielversprechend.

Trotzdem übte er sich in Tiefstapelei: Ihn selbst beschäftige die bevorstehende Wahl nicht allzu sehr, ließ er seinen Bruder Gundaker wissen. Seinen Einschätzungen zufolge sei dieses Land so verarmt und heruntergekommen, dass ein Wiederaufbau mindestens zehn Jahre in Anspruch nehmen würde, teilte er seinem Bruder mit. Und: „Je ne puis réussire“ – ich werde nicht gewinnen! Mit dieser Prognose lag er genauso daneben wie mit jener, am zweiten Wahltag, beim dritten oder vierten Wahldurchgang, werde der Sieger gekürt.

Es sollte anders kommen. Die Wahl zog sich in die Länge. Es gab Interventionen, Drohgebärden und hektische Verhandlungen, in ein Gespräch zwischen Colloredos Vater und dem päpstlichen Nuntius in Wien soll sich sogar Kaiserin Maria Theresia eingeschaltet haben.


Fürstbischof Ferdinand Christoph Graf Waldburg-Zeil (um 1780), 1772 von Colloredo als Bischof von Chiemsee eingesetzt, war Mitglied einer Freimaurerloge in Salzburg, Musikliebhaber, ein guter Cellist und Freund der Familie Mozart.

Der Favorit

Domdechant Ferdinand Christoph Graf Waldburg-Zeil (1719-1786) war amtserfahren und bei den Salzburgern äußerst beliebt.

Wäre es nach Bayern, der Salzburger Bevölkerung und Zeil selbst gegangen, hätte er die Nachfolge Schrattenbachs angetreten.

Seine allzu enge Verbundenheit mit Bayern und sein lockerer Umgang mit Geld – in Zeiten hoher Verschuldung Salzburgs keine günstige Referenz – wirkten sich jedoch nachteilig aus. Auch das ungeschickte Agieren des bayerischen Wahlgesandten August Törring-Jettenbach (1728–1789) tat sein Übriges.


Mischte bei der Bischofs-Wahl entscheidend mit: Reichsgraf Franz Xaver Breuner (1723-1797). Seine Mutter, Maria Josepha Gräfin Starhemberg, und Colloredos Mutter, Maria Gabriele Gräfin Starhemberg, waren Schwestern.

Auch die Kandidaten warben aktiv um Stimmen, nicht ohne Intrigen, wie Colloredo dem anderen Lager vorwarf.

Es gäbe unter den Domherrn zwei Verräter („Denn da wir zwei Dutzend Apostel sind (i.e. das Domkapitel), ist es nur richtig, dass wir mindestens zwei Judasse haben“), vermutete er und nannte seinen Mitbewerber Ferdinand Christoph Zeil sowie Peter Michael Vigil Graf Thun und Hohenstein (1724-1800).

Joseph Gottfried Graf Saurau (1720-1775) schätzte er als stärksten Gegner ein.

Colloredo selbst suchte und schmiedete ebenso Allianzen, lobbyierte und traf sich mit diversen Domherren zu gemeinsamen Essen.

Einer, auf den er zählen konnte, auch später als Fürsterzbischof, war Franz Xaver Breuner, sein Cousin. Colloredo ernannte Breuner zum Fürstbischof von Lavant (1773), später zum Fürstbischof von Chiemsee (1786), und vermittelte die Erhebung zum Reichsfürsten durch Kaiser Josef II.


Eine schwierige Entscheidung und ein kluger Schachzug

Die Tage vergingen, kein Kandidat erhielt die erforderliche Stimmenmehrheit, die Fronten waren verhärtet, die Domherren uneinig.

Da gelang dem kaiserlichen Wahlhelfer, Graf Hartig, schließlich der entscheidende Schachzug. Er lud anlässlich des Geburtstages von Kaiser Joseph II. am 13. März einige Gäste, darunter auch die Domherren, zu einem abendlichen Empfang. Und es gelang, eine Mehrheit für Colloredo auszuhandeln. Die Unterstützer Joseph Gottfried Graf Sauraus schlugen sich auf Colloredos Seite, die Familie Firmian, die gleich drei Domherrn stellte, erinnerte Hartig daran, ihr Versprechen gegenüber dem kaiserlichen Hof einzuhalten. So ermöglichte er die einstimmige Wahl Colloredos.

„Jezt abends in der conversation bey hof, d(a)s ist den 13. Merz, haben s(ein)e hochfürst(lichen) gnaden, mein gnädigster fürst und bischof, von einen versamleten hohen dom-capitel und anderer hohen noblessee die complimenten empfangen, alß ein neüererzbischof, dessen förmliche wahl morgen früh … erfolgen wird.“ (P. Florian Dalham, Brief an Colloredos Bruder Gundaker, 13. März 1772)

Und so kam es. Am nächsten Tag, dem fünften Wahltag, konnte Colloredo im 13. Wahlgang 22 von 23 Stimmen auf sich vereinen. „Wein, Weiber und d’Nacht haben unsern Fürsten g’macht“ tat ein Zettel, der am Tor des Kapitelhauses klebte, kund.

Eine weitere Anekdote besagt, man wäre so fest überzeugt gewesen, Zeil würde das Rennen machen, dass man diesen bereits im erzbischöflichen Ornat malen ließ, um das Porträt wie üblich im Festzug nach der Wahl mitzutragen. Die bereits im Vorfeld angefertigten Bilder mussten schnell mit Colloredos Kopf überpinselt werden. Man soll allerdings deutlich gemerkt haben, dass es sich eigentlich um das Antlitz des Grafen Zeil handelte.

Gemälde zeigt Colloredo von Franz Xaver König gemalt

Auf dem Gemälde von Franz Xaver König (um 1773) hält Colloredo in der linken Hand ein Schriftstück, das die Aufmerksamkeit auf die Kalenderuhr mit dem genauen Wahldatum lenkt: 14. März 1772, 9.45 Uhr.


Das Volk blieb stumm

Die Reaktion der Salzburger auf die Wahl Colloredos soll mehr als verhalten gewesen sein: „Als die Kunde: ‚Hieronymus!‘ vom Balkon des Kapitelhauses herab dem harrenden Volke erscholl, wollte es seinen Sinnen nicht trauen; die Höheren des Landes verstummten.- Als sich der feyerliche Zug des Kapitels, den blassen schwächlichen Neugewählten in seiner Mitte, in den Dom zum Te Deum bewegte, herrschte eine düstere Stille.“ (Joseph Ernst Ritter von Koch-Sternfeld, Die letzten dreißig Jahre des Hochstifts und Erzbisthums Salzburg, 1816)

Man tröstete sich damit, dem neuen Fürsterzbischof würde aufgrund seiner kränklichen Natur nur eine kurze Regierung beschieden sein. Hier irrten die Untertanen wie so oft: Colloredo bestimmte als Landesherr mehr als drei Jahrzehnte die Geschicke Salzburgs, wirkte 40 Jahre als Erzbischof und sollte als letzter geistlicher Fürst Salzburgs in die Geschichte eingehen.

Ob die offen abweisenden Reaktionen Hieronymus gekränkt haben ist nicht überliefert. Es gibt aber Mutmaßungen, wie bei dem Salzburger Beamten, Historiker und Schriftsteller Joseph Ernst Koch-Sternfeld (1778–1866): „Hieronymus empfand diesen stummen Ausdruck tief; – in der Zeit seinen ganzen Lebens trat ihm dieses Bild zwischen sich und den Salzburgern.“

Nach seiner erfolgten Wahl reiste Hieronymus Colloredo nach Wien, um etwas Ruhe zu finden und sich auf seinen großen Einzug als Fürsterzbischof in Salzburg vorzubereiten, der am 29. April über die Bühne gehen sollte.

 

 

Sonderausstellung: Colloredo. Reformer in neuem Licht

26. 1.  – 29. 5. 2023 Nordoratorium, Residenzgalerie

Die ausführliche Ausstellung über den letzten geistlichen Landesfürsten widmet sich zahlreichen Aspekten seiner einunddreißigjährigen Regierungszeit und rückt so manches Klischee zurecht.

 


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